Neueste Entwicklung in und um Iran

(Weitere Informationen oder Anmeldungen unter: info@swiss-iran-chamber.ch)

Wirtschaftskammer Schweiz-Iran

"Auszug aus Newsletter 2020/5":

US-Präsident Joe Biden und Iran – neue Lage?

Joe Biden, wenn im Amt, wird erklärtermassen dort anknüpfen wollen, wo die Geschichte der amerikanisch-iranischen Beziehungen vor drei Jahren einen Bruch erlitten hat. Er war als US-Vizepräsident bei der Aushandlung und Unterzeichnung des sog. Nuklearvertrags (JCPOA – Joint Comprehensive Plan of Action) dabei. Er scheint nun gewillt, nach den Trump-Jahren eine neue Iran-Politik einzuleiten. Allerdings hatte die iranische Führung wegen Trumps Iran-Politik begonnen, auch ihrerseits von ihren vertraglichen Pflichten abzuweichen und gewisse nukleare Kapazitäten wieder aufzubauen. Dass sie diese wieder zurückbauen, ist im Moment unvorstellbar. Innenpolitische Konsequenzen des Austritts der USA aus dem Nuklearvertrag waren die Desavouierung der Regierung Rouhani, die Stärkung der konservativen Kräfte in Iran, die seit je gegen den Vertrag waren, und der Wahlsieg der Konservativen bei den Parlamentswahlen vom vergangenen Februar. Die 2021 anstehende Präsidentschaftswahl, zu der Rouhani nicht mehr antreten kann, wird unzweifelhaft einen Kandidaten der Konservativen oder sogar der Revolutionswächter, wie Ahmadinejad einer war, zum Wahlsieg tragen. Als Kandidat im Gespräch ist der derzeitige Parlamentspräsident Baqer Qalibaf, ehemaliger Bürgermeister Teherans und früher ein Kommandant der Revolutionswächter.

Der Stand der amerikanischen Iran-Beziehungen, die Biden ab Januar 2021 antreffen wird, ist deshalb nicht mehr, was sie Ende 2016, am Ende der Obama-Biden-Administration waren. Es gibt heute kaum noch ein politisches oder wirtschaftliches Angebot, das die heutige und erst recht die kommende Führung in Iran realistisch zu einer Rückkehr zu den Vertragsverhältnissen von 2016 bewegen könnte. Auch im amerikanischen Kongress wird es für Biden sehr schwierig werden, eine Lockerung der Iran-Sanktionen zu erwirken, ohne dass Iran vorgängig zu neuen Konzessionen im Nuklearbereich bereit wäre. Und davon wird noch lange keine Rede sein können. Neue Bewegung in die politische Blockade könnten nur sehr weitreichende und unerwartete Initiativen bringen, die eine umfassende Neuordnung in Aussicht stellen würden. In progressiven Thinktank-Kreisen ist die Rede von einer Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen als Teil eines grossen Verhandlungspakets; die amerikanische Regierungspolitik lässt aber nicht erkennen, ob sie eine solche Initiative überhaupt zu denken wagt.

Entwicklungen in der Region

In der Region um den Persischen Golf sind andere strategische Kräfte stärker geworden. Bemerkenswert ist der Aufstieg der dominanten Militärmacht Israel zu einer zunehmend auch politisch akzeptierten Macht. Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain haben sich zwei arabische Golfstaaten dazu entschlossen, entgegen ihrer jahrzehntealten anti-israelischen Rhetorik und einer, allerdings fast nur symbolischen, Solidarität mit dem palästinensischen Volk, in den sog. Abraham Verträgen (Abraham Accords) einer diplomatischen und wirtschaftlichen Normalisierung mit Israel zuzustimmen. Von Friedensverträgen kann keine Rede sein, da diese zwei Golfstaaten nie mit Israel im Krieg standen. Aber sie geben den diplomatischen Offensiven Israels in der Region beachtliches Prestige und scheinen auch auf andere arabische Golfstaaten einen Einfluss auszuüben. Zuvorderst in den Augen der Öffentlichkeit steht Saudi Arabien, das sich wohl noch lange schwer tun wird, Israel offiziell und öffentlich als Partner zu akzeptieren. Als Hüterin der heiligen islamischen Pilgerstätte hat die saudische Regierung gegenüber den arabischen Massen der Länder der Region die politisch-moralische Pflicht, Israel politisch abzulehnen. Denn die arabischen Massen fühlen sich der palästinensischen Sache verpflichtet; für die „rue arabe“ bleibt Israel ein Feindbild. Deren Regierungen verhalten sich aber zunehmend unabhängig von ihren Volksmeinungen.

Die Stärkung der regionalen Rolle Israels muss im Zusammenhang mit dem bereits unter Präsident Obama eingeleiteten längerfristigen Rückzug der Amerikaner aus der Region gesehen werden. Der Gegensatz zwischen den Hegemonialansprüchen Irans und Saudi Arabiens am Persischen Golf verschärft sich, wenn die Saudis nicht mehr auf die Unterstützung der USA zählen können. Dass die USA ihre Bündnispflichten ohne weiteres aufkünden können, hat in der Region schon manche Konfliktpartei erleben müssen. Dessen sind sich die Saudis bewusst. Dies gehört sicher zu den Gründen für die Annäherung an Israel. Militärisch und technologisch sind die Israelis ein interessanter Partner für die Golfaraber. Zudem bietet eine Partnerschaft mit Israel immerhin Gewähr, dass die USA zumindest politisch in der Region engagiert bleiben. In Washington steht sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten eine gesicherte Mehrheit der Wähler wie der Entscheidungsträger auf der Seite Israels. Auch der künftige Präsident Biden gilt in Amerika als Israel-Freund. Die Iraner wissen das und hegen deshalb nur begrenzte Hoffnungen auf eine bessere Zukunft ihrer Beziehung mit den USA. Und doch lassen jüngste Personalentscheide Bidens im aussenpolitischen Bereich immerhin erwarten, dass nach der Ära Trump ein neues Kapitel aufgeschlagen werden soll. Welche Rolle den Europäern, die sich stets gegen Trumps anti-iranische Massnahmen gestellt hatten, zufallen wird, ist nicht erkennbar. Ihre Bemühungen um die Aufrechterhaltung des Handels mit Iran haben bekanntlich wenig gefruchtet. Vielleicht braucht es für eine wirkungsvollere Eigenständigkeit Europas die Herausforderung, vor die sie Trump bereits im Rahmen der NATO-Bündnispflichten gestellt hatte.

Während sich nun Europa und die USA über neue Positionen gegenüber Iran absprechen werden, schaffen die globalen Konkurrenten China und Russland in der Region neue Fakten. Iran hat längst Konsequenzen gezogen aus der Unfähigkeit der Europäer, für gesicherte Importe zu garantieren. Technologisch und volkswirtschaftlich hat der Trend zur Ablösung der europäischen Handelspartner bereits eingesetzt. Auf der Importseite wendet sich Iran für technologisch höherwertige Güter China zu, das sich die Einladung zur Ausweitung seines regionalen Einflusses nicht entgehen lässt. Russland hat seine militärstrategische Position in der ganzen Region ebenfalls wesentlich verstärkt. Mit Iran steht Russland zwar auf dem Erdölmarkt als Anbieter in Konkurrenz, aber auf dem Rüstungssektor wird Russland für Iran immer wichtiger als Lieferant von Waffensystemen.

Wo technologisch und industriell möglich wird sich die iranische Volkswirtschaft generell weiterhin bemühen, durch Schaffung von eigenen Substitutionsindustrien kostspielige Importe abzulösen. Ausserdem hat die Führung erkannt, dass sie angesichts des zerfallenden Ölpreises auch neue Exportgüter-Industrien aufbauen muss. Das ist aber nicht einfach und nicht so rasch machbar, mit den vorhandenen Rohstoffen und der vorhandenen Industriebasis einer 80-Millionen-Volkswirtschaft jedoch längerfristig durchaus eine realistische Strategie.